Heimatkreis Crossen/Oder - Hundsbelle
Hundsbelle

(    Chyże )
 Titelbild

Aktuelles Kreis Crossen/Oder
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Hundsbelle liegt ca.2 km östlich von Crossen.
Von Markt in Crossen/Oder kommend, erreicht man Hundsbelle, indem man nach Überqueren der Oderbrücke rechts auf die Bismarckstr. aufbiegt. Nach ca. ½ km - kurz vor den Kreisel - biegt man nach rechts in Richtung Chyże ab.
Nach reichlich 1 km wird das Ziel erreicht.

Hundsbelle hatte bei der letzten Volkszählung im Jahre 1939     169 Einwohner   und gehörte zum Amtsbezirk Kähmen, zu dem auch Goskar und Rädnitz gehörten.


  • zur Geschichte des Ortes

Leider ist die Vergangenheit von Hundsbelle geschichtslos, d.h. über den Ursprung des Dorfes liegen keinerlei schriftliche Quellen vor.
Der Name scheint von der Nähe des Ortes bei der Stadt Crossen herzurühren - nur ein Hundblaff von Crossen entfernt.
In frühesten Zeiten soll das adlige Geschlecht von Löben und derer von Kalkreuter das Dorf besessen haben. 1518 und 1522 kaufte der Rat der Stadt Crossen Teile des Ortes.

In der Klassifikation 1718/19 wird Hundsbelle wie folgt erwähnt:

Hundsbelle hatte als Besitzer: Magistrat von Crossen. Im Ort gab es: keine Bauern,
aber 21 Gärtner, davon hatten 19 Weinberge.
Der Dorfschulze war Georg Schultze.

Der Acker konnte in jedem Jahr bestellt werden, musste aber teilweise gegraben werden. Die Weide lag tief, bei steigendem Oderwasser musste das Vieh in den Ställen bleiben und aus den Weinbergen gefüttert werden.

Der Viehbestand war mittelmäßig. Im Dorf gab es 112 Rinder, 8 Schweine und 55 Gänse. In den Lachen der eigenen Wiesen wurde gefischt. Es gab einige Bienenstöcke.

Der wichtigste Verdienst wurde mit dem Fahren von Sand und Lehm auf ihren Kähnen erzielt.

Angebaut wurden Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Hirse, Leinen und Hanf.
Der Krüger verschänkte im Monat 200 Liter Bier.

Im Bratring 1806 steht geschrieben:

Hundsbelle war im Jahre 1806 ein Dorf mit 1 Lehnschulzen; es wurde von der Kämmerei zu Crossen verwaltet.
Es hatte 20 Ganz-Kossäten und 6 Einlieger. Wenig Acker, aber Wiesen und Weinberge.
Hundsbelle hatte 1806:  23 Feuerstellen u. 142 Einwohner .
Hundsbelle war nach Crossen (Bergkirche) eingepfarrt.



In der “Topografischen Übersicht des Reg.Bez. Frankfurt/Oder” aus dem Jahre 1844 erscheint:
  • Hundsbelle war ein Dorf - zur Stadt Crossen gehörig.
    es hatte 36 Wohngebäude und 180 Einwohner.
    es war nach Berg (Andreaskirche) eingepfarrt.
Für das Jahr 1852 werden genannt:
  • Hundsbelle war ein Dorf zur Stadt Crossen.
    Es hatte 228 Einwohner
Im Riehl und Scheu "Berlin und die Mark Brandenburg …" von 1861 wird geschrieben:
  • Hundsbelle war ein Dorf zur Stadt Crossen gehörig.
    Es hatte 31 Häuser und 201 Einwohner .


  • Um das Jahr 1900 wanderten die Crossener Bürger sonntags nach Hundsbelle

Damals liefen die Sonntage nach einem ziemlich gleichmäßig festgelegtes Programm ab. Mit dem Kindergottesdienst fing es an. Danach hielt man sich kurz beim Marktkonzert auf, im Anschluß ging es dann heim an die große Mittagstafel. Aber schon um 14 Uhr traf man sich mit seinen Verwandten oder befreundeten Familien an der damals noch hölzernen Oderbrücke zum gemeinsamen großen Sonntagsspaziergang.
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Der Besuch der Gartenlokale war einer gewissen Mode unterworfen. Um 1900 strömte das Crossener Bürgertum an den Sonntagen fast ausschließlich nach dem fast zwei Kilometer entfernten Hundsbelle Nr.1. Es war ein schöner Spaziergang dorthin, und außerdem verstand die Wirtin Mutter Schimmack, so ausgezeichnete mit Pflaumenmus gefüllte Pfannkuchen zu backen. Auch ihre Schinkenstullen hatten beachtliches Format und waren von bester Qualität. Und der Spitzkäse duftete herrlich!

Doch diese leckeren Sachen wurden vom durchschnittlichen Bürger nicht gekauft. Das wäre zu teuer gewesen, obwohl ein Pfannkuchen fünf ganze Pfennige und eine Landbrotschinkenstulle höchstens dreißig Pfennige gekostet hatte. Nein, der Kuchen ist zu Hause gebacken worden. Außerdem wurden auch die Stullen für das Abendbrot mitgenommen.

Man muss sich manchmal fragen, worin eigentlich der Verdienst für den Wirt Schimmack gelegen hat, wenn bei der Bedienung für eine ganze Familienrunde nur eine große Portion Kaffee (dazu eine ebenso große Kanne heißes Wasser zum Verdünnen), ein halbes Dutzend Pfannkuchen, zum Abendbrot vielleicht zwei Schinkenstullen und für Vatern drei Viertel „Hundsbeller Schattenseite“ - man nannte ihn Landwein – bestellt wurde. Während die zugehörigen Kinder in Schimmacks Bergen oder unten auf den Oderwiesen beim Spielen einen mindestens ebenso großen Flurschaden anrichteten, wie die Zeche betrug.

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Eigentlich kann man es nicht verstehen, warum „Hundsbelle Nr. 1" für die damalige Generation des Crossener Bürgertums einen solchen Magnet bildete. Der Spaziergang dorthin, über die Bismarckstraße, vorbei an der Pfeffermühle und den Honigbergen, war zwar sehr reizvoll, aber Schimmacks Garten selbst war doch recht beengt und wirkte unter den alten Bäumen ziemlich finster, zumal der Blick nach den Oderwiesen seinerzeit durch einen veralteten Musikpavillon versperrt war. Es kann also nur die gute Schimmacksche Küche und die persönliche Verbundenheit der Wirtsleute zu ihren Gästen gewesen sein, die die Leute aus der Stadt anzogen. Allerdings hatten die späteren Wirte Stimpel und Huke solchen Massenbesuch nicht mehr aufzuweisen.

Etwa auf dem halben Wege zwischen Bismarckstraße und Hundsbelle lag díe Gaststätte „J ä g e r h e i m", von dessen erhöhtem Garten man einen schönen Fernblick bis nach den Rusdorfer Bergen genoss, doch die meisten erholungsbedürftigen Crossener Bürger gingen damals lieber den halben Kilometer weiter bis Hundsbelle. Erst als der Wirt Semisch dort einen modernen Schießstand errichtet hatte, wofür sein Grundstück geradezu ideal war, trafen sich hier gern die Jäger und Schützen mit ihren Familien.



  • Seit 1828: Schifferfastnacht in Hundsbelle

Im Jahre 1820 gründeten Hundsbeller Schiffer eine Gesellschaft. Ihre Hauptaufgabe war es, in der Winterzeit eine Fastnachtsfeier zu veranstalten. Wahrzeichen des Vereins war ein etwa anderthalb Meterlanges und bunt bemaltes hölzernes Schiff, liebevoll „Schiffchen“ genannt. Es wurde beim „Herbergsvater“ aufbewahrt.

Von 1820 an existierte ein Protokollbuch, in welches die ersten Eintragungen noch mit dem Federkiel, die wie Steindruck wirkten, vollzogen waren. Darin waren alle Fastnachtsfeiern ab 1820 beschrieben. Daraus konnte man ersehen, dass es auch einige Jahre gab, in denen die Feier wegen Kriegszeit oder anderer Nöte ausfiel. Ein besonders großes Fest wurde 1920 anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Gesellschaft gefeiert. Es dauert drei Tage.

Herren, die Mitglieder der Gesellschaft werden wollten, mußten einmalig einen Betrag in beliebiger Höhe einzahlen und blieben dann lebenslang „Fastnachtsbrüder“. Jede zugehörige Dame hatte ein mehrere Meter langes, breites Seidenband mit Monogramm und Jahreszahl zu stiften und durfte sich danach „Fastnachtsschwester“ nennen. Diese Bänder wurden in einer Holzspankiste, in welcher sich über 200 Bänder befanden, aufbewahrt. Das älteste Band datiert vom Jahre l820.
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      Hundsbelle - Im Hintergrund: die Oder

Diese sogenannte „Schiffer- oder Wildefastnacht“ wurde Anfang Januar zu einem Zeitpunkt gefeiert, an dem die Schiffer wegen Eisgangs oder zugefrorener Gewässer zu Hause waren. Einige Tage vor dem Fest wurden das Symbol der Gesellschaft, ein 1820 erbautes Schiffchen, und die Kiste mit den Bändern vom „Herbergsvater" abgeholt und das Schiffchen mit Bändern geschmückt.
Am Festtage wurde nun das geschmückte Schiffchen mit Musik vom Herbergsvater abgeholt und vom jüngsten Fastnachtsbruder durch das Dorf bis zur Stadtgrenze (Bismarckstraße) getragen. Fastnachtsbrüder und Fastnachtsschwestern trugen hierbei auch Bänder über ihren Schultern. Nach dem Umzug wurde das Schiffchen dann im schön geschmückten Saal von Hundsbelle Nr.1 aufgehängt.

Zum Umzug trugen die „Fastnachtsbrüder“ Gehrock und Zylinder. Der „Herbergsvater“ - er hieß bis Ende der 1930er Jahre Paul Joachim und zuletzt Georg Walter - händigte einer Gruppe jüngerer Männer das „Schiffchen“ aus und wünschte dem Fest einen guten Verlauf. Danach gab es einen Umtrunk, in der Regel Glühwein. Mit Musik ging es weiter zum Bürgermeister (zuletzt Schultze), wo wiederum Glühwein bereitstand. Anschließend brachte die Festgesellschaft den älteren „Fastnachtsbrüdern“, die nicht mehr mitmarschieren konnten, ein Ständchen.

Am Abend fand jeweils der traditionelle Tanz bei Gastwirt Huke (Hundsbelle Nr.1) statt. Dabei hielt das Festkomitee sehr auf Sitte und Ordnung. Die Namen neuer „Brüder“ und „Schwestern“ wurden verlesen. Eine Woche später gab es eine Nachfeier bei Seemanns im „Jägerheim“. Beim Tanz durfte niemand der Fastnachtsgesellschaft, ohne mit Handschuhen bekleidet zu sein, das Schiffchen in schwingende Bewegung setzen. Bis zum Morgen wurde getanzt. Danach nahm das „Zampern" seinen Anfang. Jeder Fastnachtsbruder griff in die Brieftasche oder holte etwas aus der Räucherkammer. Abends wurden dann das gesammelte Geld und die gesammelten Gaben gemeinsam verspeist und vertrunken.

Heiratete eine „Fastnachtsschwester“ oder ein „Fastnachtsbruder“, so wurde eine Girlande über die Straße gespannt und daran das „Schiffchen“ mit den Bändern gehängt. Das letzte Mal geschah das wohl 1940 bei der Hochzeit von Johanna Schultze und Richard Schmiedeck.


  • Hundsbelle - Ortsplan mit Häuserverzeichnis

Hundsbelle _ Ortsplan
      Hundsbelle - Ortsplan von Erika Grap
Hundsbelle _ Besitzer 1926
      Hundsbelle im Einwohnerbuch
      Krs. Crossen 1926

Für diesen Abschnitt stellte die Landsmännin Erika Grap, geb. Riedel
Ihre Unterlagen (Ortsplan mit Einwohnerverzeichnis - Stand 1945) dankenswerterweise zur Verfügung.
Zusätzlich lag dem Webmaster noch das Einwohnerbuch von 1926 vor.
Im Jahre 1926 gab es in Hundsbelle 49 Haushalte.

Beide Unterlagen sollte der Interessierte Anwender zwecks besserer Lesbarkeit vergrößern (durch Doppelklick).

In der unten folgenden Tafel sind sämtliche Häuser von Hundsbelle mit ihren Bewohnern (Stand: 1945) aufgeführt.

Die Tafel zeigt die Häuser in der Reihenfolge aufsteigender Nummern.

Pro Haus wurde in den drei Spalten eingetragen:

  • Spalte 1: LfdNr- aus dem Ortsplan
  • Spalte 2: vorn die echte HausNr; hinten der Name der Familie
  • Spalte 3: Torsaule(evtl. Beruf)
  • Nun folgt nur noch das Einwohnerverzeichnis - Stand 1945 - von Erika Grap:

    1   1     Huke, Franz Gastwirt   8   8      Joachim, Leopold   23           Joachim Franz neue Schule  
    2   2     Feinbube, Hermann   9   9      Schultze, Richard                 Müller, Willi    
        2     Vogel, Paul   10   10    Mieglich, Fritz                 Schulz, Paul  
        2     Maue, Fritz   11   11    Riedel, Reinhold Busch's   24           Müller, Otto    
        2a    Joachim, Wilhelm   12   12    Müller, Paul     25           Stefan, Karl    
        2a    Kockegei,       12    Fröhlich, Berta     26           Machner, Wilhelm    
        2a    Mieglich, Fritz       12    Kobus     27-29           drei Scheunen    
        2a    Schulz,       12    Biedermann     30           Hoffmann, Karl    
        2a    Kleinschmidt, Frieda   13   13    Walter, Ernst     31           Birkner, Otto alte Schule  
    3   3     Joachim, Emma   14   14    Heinrich, Richard                 Drescher    
    4   4     Machner's Garten   15   15    Hartmann, Gottlieb                 Wiedermann    
    5   5     Schimmack, Karl     16   16    Walter, Martha     32           Heinrichs Scheune    
    6   6     Dommenz, Ernst   17   17    Kalläne, Wilhelm     33   21    Stein, August    
        6     Hartmann, Richard   18   18    Bullack, Ernst     34   19    Pschichholz,Wilhlm    
    7   7     Professor Gambke               Machner, Karl Gemeindehaus   35           Hoer    
        7     Kilian, Erich   19           ? ? ?     36           Burchert    
        7     Schulz, Hans     20    Fräulein Joachim     37           Höpfner    
        7     Hartmann, Fritz   21    Kernchen, Otto            
        7     Lobermeier, Charlotte     22    Fröhlich, Aug. u Heinrich            


    • Hundsbelle - im Jahre 1945

    Das Geschehen in Hundsbelle in den letzten Wochen bis zur Vertreibung aller Einwohner wurde auszugsweise einem Erlebnisbericht einer Hundsbellerin – veröffentlicht in den „Heimatgrüßen“ des Jahres 1950 – entnommen. Dieser Bericht zeigt die damalige Situation allgemein in den Kreisdörfern während der Landnahme unserer Heimat durch die Polen.
    Mit dem Herannahen der russischen Armeen zu Beginn des Jahres 1945 sind auch in Hundsbelle Teile der Bevölkerung nach Westen geflüchtet, während andere zu Hause blieben. Unsere Berichterstatterin flüchtete und kam in Senzig bei Königswusterhausen unter. Dort erlebte sie auch den Einmarsch der Russen. Es folgt ihr Bericht:

    Anfang Mai 1945 wanderte ich mit meinen Kindern von Senzig zurück nach Crossen. Wie froh und glücklich waren wir, als uns nach einem letzten, schon ziemlich warmen Marschtage kühler heimatlicher Wiesenduft auf der Benschbuder Brücke entgegenwehte. Als wir gar den unversehrten Turm von St. Marien sahen, setzten wir kräftig zum Endspurt an, um die Stadt noch vor Anbruch der Dunkelheit zu erreichen.

    Die erste Nacht verbrachten wir in einer völlig ausgeräumten Wohnung in der Nähe des Bahnhofs. Am nächsten Morgen ging es zum Registrieren in die Stadt. An der Breitagbrücke begegneten wir einem Arbeitstrupp, in dem ich u. a. Frl, Machule und Bäckermeister Schulze erkannte. Als wir von der Elisenbrücke tief erschüttert auf die zerstörte Stadt blickten. trat eine Hundsbellerin auf mich zu und berichtete, daß auch unsere Scheune abgebrannt sei. Im Hause von Justizrat Egger erfolgte dann die Registrierung. Eine junge Polin, in rosaseidener Bluse vor einer Schreibmaschine sitzend, händigte uns die Passierscheine für die Notbrücke aus.

    In der Bismarckstraße waren von Fahrdamm und Gehbahnen die Spuren des Krieges bereits weggeräumt. Aber die Böschung war übersät mit Dingen aus den Wohnungen: Hausrat, Akten, Kinderspielzeug usw. Vor Kunerts Haus stand ein schöner antiker Schreibtisch. Auf dem Hundsbeller Weg waren einige ältere Männer aus dem Ort damit beschäftigt, die sehr mitgenommene Straße in Ordnung zu bringen. Sehr ernst begrüßten wir uns. Sie gaben ihrem Erstaunen Ausdruck, daß ich überhaupt zurückkam. Einer von ihnen sagte: „Unseres Bleibens ist hier nicht lange." Den Sinn der Worte habe ich erst später verstanden.
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    Nach Hundsbelle waren bis auf wenige Familien alle Einwohner zurückgekehrt. Die Häuser der nicht wiedergekehrten Einwohner waren vollständig ausgeplündert. Besonders traurig wirkte der Anblick einer Kinderwiege, die als einziges Möbelstück in einem verlassenen Hause stand. Überall aber, wo Menschen wohnten, sah man die ordnende Hand an Zäunen, Fensterläden, Toren und in den Gärten. Gärtner Machner hatte vorgesorgt, Pflanzen gezogen und gab uns allen, was wir brauchten. Freilich konnten wir ihm im Augenblick dafür nichts geben. Jede Geldwirtschaft hatte aufgehört, wir waren zur Naturalwirtschaft zurückgekehrt. Was wir noch an Waffen und Uniformteilen fanden, trugen wir zum polnischen Bürgermeister, der sich in Prof. Gambckes Wohnung etabliert hatte. Zwei junge Polinnen, eine davon jahrelang Gehilfin bei Frau Stephan, erledigten die schriftlichen Arbeiten und gaben außerdem täglich an jeden Haushalt ein Viertelliter Milch und alle zehn Tage ein Pfund Schrot je Kopf aus, womit sich jeder selbst sein Brot buk.

    Wie man sonst zu dem kam, was für die Ernährung notwendig war, blieb jedem selbst überlassen. Kartoffeln fanden wir noch reichlich in Kellern und in Mieten. In meinem Keller hatte das sauer Eingemachte (Rote Rüben, Frischgurken, Tomatenpüree) keinen Liebhaber gefunden und kam uns nun sehr gelegen. Spargel und Rhabarber spendete der Garten. Aus Fässern, die im untersten Keller der zerstörten Molkerei standen, holte ich mir alten Quark. Mal fand ich einen Eimer mit frischem Rindfleisch. der von einem galoppierenden Russenwagen gefallen war. Die Kinder des Dorfes holten sich mittags warmes Essen aus einer Küche in Kochs Villa, in der für ein Hafenkommando gekocht wurde.
    Salz war besonders rar, und es wird mir unvergeßlich bleiben, wie uns Frau Karl Machner sen. ein Tellerchen Salz zu den über offenem Feuer gekochten Kartoffeln stiftete, als wir zum Kartoffelauslesen in das Gehöft von W. Pschichholz befohlen waren.

    Im ganzen Dorf gab es nur noch 3 Pferde, 4 Kühe und 2 Ziegen. Die Männer mußten Aufräumungsarbeiten verrichten: Schützengräben auf der Bergkante entlang zuschütten, tote Tiere begraben. Wir Frauen waren mit dem Setzen von Kartoffeln beschäftigt.

    In dieser Zeit starb innerhalb einer Woche kurz hintereinander das alte Ehepaar Mieglich. Zur Beerdigung durch die Dorfgemeinschaft kam Küster Neike, um die Andacht zu halten. In hirtenartiger Verkleidung hatte er sich auf Umwegen nach Hundsbelle geschlichen, da er die Oderbrücke nicht benutzen durfte.
    In größerer Gruppe, wie z.B. am Pfingstsonntag, an dem wir uns nach St. Marien begaben, um an einem von Pfarrer Koch aus Boberhöh abgehaltenen Gottesdienst teilzunehmen, konnten wir ungehindert passieren. Von einem wundervollen Zusammengehörigkeitsgefühl durchdrungen, gingen wir gemeinsam zurück.

    Die Heuernte hatte schon begonnen. Alle Arbeit wurde dabei gemeinschaftlich verrichtet. Noch am Vormittag des 24. Juni 1945 waren wir, etwa 50 Frauen, bei schönstem „Wiesenwetter" damit beschäftigt, das geschnittene Gras zu wenden. Bald, nachdem wir Mittagspause gemacht hatten, kamen polnische Soldaten in die Häuser und überbrachten uns den Befehl, das Dorf und die Heimat überhaupt zu verlassen. Dass irgendetwas Besonderes geschehen war, hatten wir schon am Sonnabend und in der Nacht gemerkt. Auf dem Kasino wehte seit Sonnabendmittag die polnische Flagge. Musik und Schüsse waren zu hören. Ein geschmückter Dampfer fuhr mit Musik und Lampionbeleuchtung in der mondhellen Nacht die Oder aufwärts bis Hundsbelle. Es war das Fest der Übergabe unserer Heimat an die Polen.

    Ich benutzte die Nacht, den Handwagen zum dritten Male zu packen. Die Kinder halfen. Noch einmal ging ich durch die mondhellen Stuben. Von der Oder klang Festmusik herüber. Ein letztes Mal setzte ich mich an unser Klavier und spielte ein Weilchen. Die Kinder liefen indessen noch einmal über den Berg, naschten Johannisbeeren und besahen sich wehmütig den mit halbreifen Früchten über und über bedeckten Aprikosenbaum, dessen Zweige wir schon hatten stützen müssen.

    Ein polnische Feldwebel kam, verhielt an der Schwelle und sagte: „Gemütliches Heim, nirgends gefunden.“ Er wartete, bis wir uns die Mäntel angezogen hatten. An der Gartenpforte holte er uns noch einmal ein, in der Hand die Sparbüchsen der Kinder haltend, die er ihnen mit auf den Weg geben wollte.

    Das Erleben dieser sieben Wochen meiner vorübergehenden Heimkehr nach Hundsbelle steht mir so frisch in der Erinnerung, als ob es gestern gewesen wäre. Trotz aller traurigen Umstände hatte diese Zeit etwas Schönes. Es war der feste Zusammenhalt der Menschen, das gegenseitige Helfen und die Verbundenheit untereinander.
      Änd 21.01.2018
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